Die Hose - Erfahrungsberichte, Tipps, etc.

    • Offizieller Beitrag

    Ich starte hiermit einen Thread über das schwierigste Kleidungsstück überhaupt: die Hose.


    Bei meiner letzten Hose habe ich einige neuen Sachen probiert und einiges herausgefunden was ich hier teilen möchte. Ist ja gerade die Zeit in der man sich neue Sachen macht oder endlich mal anfängt... ;)


    Ausgehen möchte ich von der berühmt-berüchtigten Schnittrekonstruktion des Alpirsbacher Hosenfundes. Ich meine damit diese hier:




    Ich habe hier den schwierigsten Part dieser Rekonstruktion rot eingefärbt und eingekreist. Für alle, die noch keine großartigen Erfahrungen mit Hosen haben: das ist die Kante, die am Damm anliegt. Also der Bereich zwischen Hintern und Gehänge. Und genau die ist komisch. In allen anderen Schnittmustern die mir bekannt sind verläuft diese Linie fast horizontal, niemals so stark abfallend wie hier. Das liegt schlicht und einfach daran, dass dieser Teil der Rekonstruktion falsch ist. Durch Zufall habe ich davon gehört, dass der Originalfund von einer Dame ausgewertet wurde, die als unantastbar in ihrem Metier gilt und die niemanden mehr ans Original ranlässt.
    Es gibt einen Reenactor, der das Schnittmuster angepasst hat und in einer alten Karfunkel Ausgabe darüber geschrieben hat. Das ist das fragliche Heft: http://www.karfunkel-verlag.de…roduct.php?products_id=28 (Hat das zufällig wer?)
    Ein Foto der Rekonstruktion des besagten Reenactors findet sich hier: http://www.rete-amicorum.de/an…hneiderei/alpirsbach.html


    Sehr auffällig an dieser Hose ist übrigens, dass sie keine Nestellöcher im Bund hat. Sie hält durch Fältelungen an der Seite schlicht von alleine. Ich hab das bei meiner letzten ausprobiert, das klappt ziemlich gut. Allerdings muss man sich trauen, die Taille um einiges enger zu konstruieren als der eigene Körper es hergibt. Bei mir warens zuletzt knapp 10cm die Hose und Wams enger waren als meine wahrer Umfang.
    Achja, die Originalhose ist übrigens aus Leinen. In einer Köperbindung, die Katrin Kania hat die Bindung in ihrer Arbeit detailliert festgehalten. Kendra, würdest du die genaue Bindung bitte nachtragen? Ich hab das Buch nicht mehr zur Hand...


    Bis dato ist mein bester Schnitt eine Kombination aus Thursfield, Lapping Rotte und der Alpirsbacher Rekonstruktion. Sollte keiner dieses Karfunkel Heft haben, werd ichs mir wohl zulegen und dann vermutlich wieder von vorn anfangen. ;)



    Noch ein paar kleine Tipps zum Nähen:
    - die Naht an der Hinterseite der Beine ist unheimlich wichtig. Die muss im angezogenen Zustand vertikal verlaufen. Das kriegt man allerdings nicht alleine hin. Meine beste Lösung bisher: Grob zugeschnittene Hose bis Mitte Oberschenkel zusammennähen, anziehen (die richtige Bundhöhe mit einem breiten Gürtel / Koppel festlegen, Hose daran befestigen), und sich dann von einer zweiten Person - die im Idealfall Ahnung hat - abstecken lassen. Und zwar so, dass diese elendige Naht genau mittig liegt.
    - noch ein heißer Tipp für die Anproben: bevor man zur ersten Anprobe schreitet, stabilen Stoff in den Bund einnähen! Braucht man sowieso, sonst dehnt sich die Hose ungewollt aus. Näht man diese Verstärkung ein, bevor die erste Anprobe erfolgt, erspart man sich jede Menge Flucherei.



    Als letzten Punkt wollte ich den (für die Bewegungsfreiheit enorm wichtigen) Schnitt am Knie bei langen Hosen ansprechen. Ich hab nämlich einen netten Weg gefunden den Schnitt komplett zu kaschieren. Zumindest, wenn man steht. Sitzt man sich nieder oder bewegt man sich, sieht man das Knie, logischerweise. :D
    Ausgangspunkt war eine Illustration von Niklas Stör:


    Bei fast all seinen Illustrationen sieht man irgendwas Dekoratives am Knie. Meist oberhalb des Knies, meist länger gehaltene Streifen. In diesem einen Bild sind es aber kürzere Streifen. Mindestens eine Streifenreihe muss dabei genau auf dem Knie liegen, das verrät das Band am Knie. Wie die meisten von uns wissen, funktioniert so ein Knieriemen/band nur an einer einzigen Stelle des Beins.


    Ich hab nun schlicht versucht die Hose am Knie zu schlitzen (Obacht, markiert den Schnitt bei einer Anprobe, er sollte meines Erachtens nach genau mittig der Kniescheibe liegen) und anschließend solche in Streifen geschlitzte Bänder aufzunähen. Das Ergebnis: im Stehen sieht man den Schnitt nicht mehr. :)
    Seht selbst:

  • Richtig gut! Vorallem kann man dem Threadsteller so richtig dolle auf die Nuss hauen wenn es nicht klappt. Oder vorher vielleicht nett fragen, wenn es Probleme gibt......


    Ich meine damit: Mehr persönliche Erfahrungsberichte von LKL-Leuten!

  • Tolle Gewandung Hubert, wie schon im Ning gesagt rundum perfekt.


    Der Schnitt von Ilse Fingerlin hat schon für viel Frust gesorgt. Ich habe auch mal ein paar Schuhe nach einer Fundbeschreibung der Dame gemacht, Kommentar eines Handwerker-Fachmannes: "Fingerlin? Ist so falsch." Auch Fachleute machen Fehler. Die wenigsten Archäologen bauen ihre Funde nach. Es ist also durchaus möglich dass einem engagierten Laien Dinge auffallen, die ein Wissenschaftler nie bemerkt hätte.
    Gute Hosenschnitte sind der der Lappingrotte sowie der aus dem Medieval Tailor's Assistant (Der Thursfield) und der Karfunkelschnitt der Alpirsbacher Hose - sobald man sie an die eigene Figur angepasst hat. Die Schnitte im Knie sind bei z.B. bei Dürer und Urs Graf manchmal zu sehen. Das ist wohl auch eine Modefrage.


    Ich kann Hubert nur beipflichten, der beste Schnitt entsteht durch Ausprobieren. Ich habe es nicht anders gemacht. knallenge Hosen mit voller Beweglichkeit sind möglich! Abstecken, enger machen, ausprobieren, enger machen. Dann ausziehen und den Schnitt anpassen. Man wird erstaunt sein, wie viel da noch weg kam.

    • Offizieller Beitrag

    Ein kurzer Tipp:


    Da ich sehr schnell den Hosenstoff im Bereich des Schrittes aufreibe, setze ich immer wieder mal zusätzlichen Stoff in den kritischen Bereich. Meist ein Fleck Seide, wie auch bei der letzten, der gestreiften Hose. Das war aber in diesem Fall aufgrund der Streifen ein riesiger Fehler, da sich so der innen liegende Streifen nicht mehr genug bewegen konnte und schließlich nach 6 Tagen Benutzung riss. Wenn man also solche Probleme kennt und hat: bei gestreiften Hosen lieber den innenliegenden Streifen mittels stabiler Wolle ausführen als irgendwas drübernähen.

    • Offizieller Beitrag

    Noch mal eine Anmerkung zur "Dammlinie". Ich hab das Ganze grafisch neu aufgelegt, und hoffe, dass die Zeichnung einigermaßen klar ist. Hier ist sie:



    (Der grün markierte Teil im linken Bild ist der Schamkapselausschnitt, wie er in der Lapping Rotte Anleitung zu finden ist. Er ist nicht unbedingt notwendig, macht den Eingriff aber leichter.)
    Der rot markierte Teil ist besagte Dammlinie, sie reicht vom After bis knapp über den Penisansatz (tatsächlich lege ich den Ausschnitt vorne meist etwas höher, sitzt dann besser, ist dafür ein bisschen mühsamer beim Toilettengang). An diese Linie wird der Schamlatz genäht. Der keilförmige Latz überspannt also den kompletten Damm bis zum Hintern hoch.
    Sehr wichtig ist hierbei, dass die Dammlinie spürbar ist! Spürt man den Stoff nicht am Damm, ist der Ausschnitt der Hose an dieser Stelle fast sicher zu tief. Anders gesagt: sitzt der Schamlatz zu tief, wird er sich beim Spreizen der Beine schnell aufspannen und die Beine sperren. Einfach erklärt mit einem Bild:



    Links sitzt der Schamlatz (und damit die Dammlinie) korrekt, man könnte theoretisch einen Spagat machen. Rechts sitzt die Dammlinie viel zu tief und der Schamlatz verhindert eine Ballettkarriere.


    Hier noch eine Ansicht auf den Schamlatz der Alpirsbacher Hose, von unten:



    Rechts hab ich die Nahtverläufe hervorgehoben. Grün stellt dabei den Nahtverlauf an der Hinterseite der Beine und am Hintern dar (siehe auch die Zeichnung ganz oben) und Rot kennzeichnet die Nähte des Schamlatzes, also die vorhin als DL bezeichnete Dammlinie. Hier sieht man auch sehr deutlich, wie weit der Schamlatz nach hinten reicht.


    Mein Tipp fürs Nähen: Lieber erstmal einen kleinen Ausschnitt wählen und am Körper den korrekten Dammlinienverlauf einzeichnen. Das Gleiche empfehle ich für den Ausschnitt für die Schamkapsel: lieber klein anfangen, weiter ausschneiden kann man immer noch.


    Kleine zusätzliche Anmerkung: Alle Nähte an der Hose müssen unbedingt flexibel sein! Näht man die Hose mit einer Nähmaschine, sollte man unbedingt darauf achten, dass man einen leichten ZickZack-Stich wählt.